Nationale Dekade gegen postinfektiöse Erkrankungen – Große Worte, aber große Fragen bleiben offen
Ich wusste letzten Freitag nicht, ob ich jubeln oder schreien soll: Die Bundesregierung kündigt eine „Nationale Dekade gegen postinfektiöse Erkrankungen“ an. Ein großer Name. Klingt nach Aufbruch. Ein Teil von mir wollte kurz hoffen. Der andere Teil hat sofort gebremst.
Zu viele gebrochene Versprechen. Zu viele Jahre, in denen Betroffene im Dunkeln gelassen wurden. Und auch das Timing irritiert: Im Oktober die Ankündigung von Kanzler Merz, die Forschungsgelder für Long Covid zu kürzen. Und ausgerechnet jetzt, wenige Tage nach der großen RTL-Berichterstattung, präsentiert man plötzlich etwas, das wie eine Lösung aussieht. Zufall? Oder doch eher der Feuerwehrtrupp, der erst losfährt, wenn der Keller schon vollgelaufen ist und dann stolz ein Eimerchen zeigt?
Schnell verpufft
Bei genauerem Hinsehen verpufft der große Name dann sehr schnell: 500 Millionen Euro in zehn Jahren. Zehn! Nicht in zwei oder drei, nein – verteilt über eine Dekade. Das klingt dann gar nicht mehr so ambitioniert und nach „nationaler Mission“. Eher nach: „Wir schieben das Thema mal langsam vor uns her, vielleicht (oder hoffentlich??) erledigt es sich ja von selbst.“
Und warum erst 2027 richtig durchstarten, wenn der Bedarf JETZT da ist? Denn auch wenn da steht, dass die Dekade 2026 beginnt: Laut Zeit-Interview mit Karl Lauterbach sind für 2026 15 Millionen im Haushalt vorgesehen und die vollen 50 Millionen sollen erst 2027 fließen. Und was ist, wenn 2027 „leider“ die Töpfe doch wieder leer sind? Wenn „Prioritäten“ wieder verschoben werden?
Freude ja - aber auch Skepsis
Und noch etwas beschäftigt mich: Offiziell heißt es zwar, ME/CFS sei „mitgemeint“. Aber „mitgemeint“ ist in der Gesundheitspolitik leider oft ein Synonym für „irgendwo auf Seite 47 in der Fußnote“. Wie viel davon fließt am Ende tatsächlich in Forschung zu ME? Und wie viel in allgemeine Post-Infekt-Projekte und geht damit an ME-Betroffenen vorbei?
Versteht mich nicht falsch: Ich freue mich über jedes politische Signal, das ME/CFS, Long Covid und andere postinfektiöse Erkrankungen endlich ernst nimmt. Und ich bin unendlich dankbar für all die Menschen, die um diese Millionen gekämpft haben! Aber ich frage mich:
Ist das endlich der große Wurf? Oder doch wieder nur eine hübsch verpackte politische Geste? Hofft man vielleicht sogar, das „Problem“ erledigt sich von selbst? Dass wir das teils Jahrzehnte lange Leid nicht mehr ertragen können und uns aus dieser ignoranten Welt verabschieden?
Worte hatten wir genug. Jetzt zählt, was umgesetzt wird.
Wenn Du deine Perspektive teilen möchtest, freue ich mich über einen Kommentar. Was löst diese Dekade bei Dir aus? Eher Aufbruch oder eher Stirnrunzeln?
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