Schuldgefühle, die niemand tragen sollte

Manchmal liege ich in meinem Bett und weiß, dass mein Mann nur ein Zimmer weiter ist. Und trotzdem fühlt es sich an, als läge zwischen uns ein ganzer Ozean. Dann liege ich wach und frage mich, wie viel von seinem Leben, seinen Träumen ich ihm schon genommen habe.
Schuldgefühle sind seit der Diagnose der schweren Multisystemerkrankung ME/CFS ein ständiger Begleiter für mich – oft genauso erschöpfend wie die Krankheit selbst. Ich ertappe mich so häufig bei dem Gedanken: Wegen mir lebt er auf Sparflamme. Muss sich immer nach mir richten, sich anpassen und seine eigenen Pläne mir zuliebe verschieben. Ich sehe, wie Spontanität nach und nach aus unserem Leben verschwunden ist. Es nur noch darum geht, was für mich gut ist.
Rücksicht ist Ausdruck tiefer Verbundenheit
An manchen Tagen fühlt es sich auch an, als würde ich viel mehr nehmen, als ich geben kann. Dann macht es mich so unfassbar traurig, dass von dem Leben, das wir noch vor ein paar Jahren geführt haben fast nichts mehr übrig geblieben ist. So viel von dem, was wir zu zweit genossen haben, nicht mehr möglich ist. Nicht die großen Dinge wie Urlaub, Konzerte, Kino und Sport. Und auch nicht die kleinen, aber so wichtigen Dinge wie lange, intensive Gespräche oder das gemeinsame Lachen ohne Blick auf die Uhr.
In solchen Momenten kriechen Gedanken in meinen Kopf, die manchmal verdammt laut und dann wieder nur ganz leise sind: Vielleicht wäre sein Leben leichter ohne mich. Vielleicht verdient er jemanden, der mithalten kann. Und: Weil ich ihn liebe, will ich nicht, dass sein Leben schrumpft, nur weil meines es getan hat. Was ich aber erst nach und nach begriffen habe: Rücksicht bedeutet nicht automatisch nur Verzicht. Sie ist vielmehr ein Ausdruck von tiefer Verbundenheit. Das heißt nicht, dass mein Mann keine Grenzen hat oder dass es ihm immer leichtfällt zurückzustecken. Aber es ist seine bewusste Entscheidung alles gemeinsam durchzustehen und bei mir zu bleiben. Und ich darf es annehmen, dass er bleiben will – nicht aus Pflichtgefühl, sondern weil er es so will.
Schuld kleiner machen
Meine Schuldgefühle verschwinden angesichts dieser Erkenntnis aber leider nicht ganz. Weder wenn ich versuche, sie zu ignorieren, noch wenn ich mich von Herzen darüber freue, dass mein Mann zu mir steht. Aber sie verlieren deutlich an Macht, wenn wir darüber sprechen. Wenn wir uns gegenseitig sagen: „Danke, dass du bleibst.“ und „Ich will bleiben.“ Und mit jedem offenen Gespräch wird der Ozean zwischen uns wieder ein Stückchen kleiner. So entstehen Räume, in denen nicht nur die Krankheit Platz hat, sondern auch Ehrlichkeit – ohne Angst, undankbar zu wirken.
Annehmen, was ist
Nicht jede Rücksicht muss zurückgezahlt werden. Manche darf man einfach annehmen – wie einen Tee, der kommentarlos ans Bett gestellt wird. Vielleicht ist genau das der Anfang, um die Schuld loszulassen: Im Wissen, dass wir beide unser Bestes geben. Und dass Liebe nicht weniger wert ist, nur weil sie manchmal mehr Geduld als Abenteuer braucht.
Kennst Du solche Gedanken auch? Dann erzähle mir in den Kommentaren, wie Du mit solchen Momenten umgehst. Ich freue mich über jedes Teilen – leise oder laut.
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